Aachen/Paderborn, Juli 2014.
Bei Konzessionsübernahmen von Strom- und Gasnetzen stellt sich die Frage, wie man mit den GIS-Daten umgeht. Die STAWAG aus Aachen entscheidet sich für Zweiterfassung durch die Mettenmeier GmbH. Der Artikel “Die Karten werden neu gemischt” erschien in der Business Geomatics, Ausgabe Juli 2014.
Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2009 müssen Altkonzessionäre von Strom- und Gasnetzen bei der Konzessionsübergabe ihre Netze an den Neukonzessionär verkaufen. Der Wettbewerb um die Netze ist seitdem groß. Nachdem viele Verträge ausgelaufen waren, sind viele Netze übereignet worden, obwohl noch diverse Rechtsunsicherheiten bestanden. Experten erwarten sogar eine noch steigende Dynamik, da der BGH Ende letzten Jahres in einem weiteren richtungsweisenden Urteil geklärt hat, unter welchen Bedingungen Gemeinden Wegenutzungsrechte für Strom- und Gasnetze an ein Energieversorgungsunternehmen vergeben dürfen und somit die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Gestaltung der Konzessionsverträge transparenter gemacht hat.
Zudem begünstigt die aktuelle wirtschaftliche Lage, insbesondere aufgrund des historisch niedrigen Zinsniveaus, eine kommunalwirtschaftliche Restrukturierung. Neu gegründete Stadtwerke, die nunmehr die Netze in Eigenregie betreiben, aber auch etablierte Versorgungsunternehmen mit strategischen Wachstumszielen haben die Verantwortung für die Netzinfrastruktur und damit auch für die GIS-Daten der neuen Netzgebiete übernommen. Exemplarisch gab es im Jahr 2013 allein in NRW über 30 ausgelaufene Konzessionen im Strombereich und über 20 im Gasbereich mit steigender Tendenz. Auch Konzessionen für Wasserverteilnetze werden häufig im Zuge dieser Neuverteilung übergeben. Für alle gilt: Zum Zeitpunkt der Netzübernahme muss der neue Konzessionär beziehungsweise Netzbetreiber auskunftsfähig sein. Die GIS-Abteilungen werden in diesem Zuge zwangsläufig mit neuen Datenprojekten konfrontiert.
Daten: Migrieren oder neu erfassen?
Oft ist es aber so, dass mehrere verschiedene GIS mit unterschiedlich verteilten Datenbanken zusammengeführt werden, um so einen Gesamtblick auf die Netzsituation zu erhalten. Es gibt verschiedene Migrationsroutinen, um die Altdaten in die neuen Strukturen zu überführen und gleichzeitig den Informationsgehalt und die Datenqualität zu sichern beziehungsweise zu verbessern.. Die Alternative hierzu ist eine Zweitdatenerfassung, also die Datenbestände nochmals komplett neu aufzubauen.
Doch welche Variante soll der Netzbetreiber wählen? Vor diese Entscheidung gestellt, hat die STAWAG aus Aachen auf Expertise von außen gesetzt. Der Regionalversorger aus dem Dreiländereck (Belgien, Niederlande, Deutschland) verfolgt einen Wachstumskurs und hat rund um das bisherige städtische Versorgungsgebiet in Aachen als auch in Gebieten im weiteren Umland Konzessionen übernommen.
Ende letzten Jahres galt es zum Beispiel rund 1.200 Kilometer Stromnetz der neuen Konzessionsgebiete Simmerath und Monschau in der nahe gelegenen Eifel in das bestehende Zielsystem Smallworld GIS zu übernehmen. Für eine detaillierte Beratung setzte die STAWAG auf die Datenexperten von Mettenmeier.
Nach einer Gegenüberstellung der Optionen „Migration“ oder „Zweiterfassung“ sowie weiterer Faktoren hat sich die STAWAG für eine Zweiterfassung der Stromverteilnetze entschieden. Die vom Alt-Konzessionär RWE aus einem Sicad-System zur Verfügung gestellten Pläne lagen nach Angaben der STAWAG in einer guten digitalen Qualität vor, sodass schon nach einer Projektlaufzeit von rund vier Monaten die Datenübernahme durch Mettenmeier abgeschlossen werden konnte.
Wirtschaftlich mit Zweiterfassung?
Die Entscheidung, die die STAWAG treffen musste, ist typisch für die Übernahme von Konzessionen, in deren Zuge GI-Systeme häufig konsolidiert werden. Grundsätzlich stellt sich bei zukünftigen Konzessionsinhabern immer die Frage nach der technisch und wirtschaftlich sinnvollsten Vorgehensweise. „Da in der Regel bereits GIS-Daten des Alt-Konzessionärs vorliegen, sind mögliche Alternativen die Migration, die Datenzweiterfassung oder ein Mischverfahren aus beiden“, sagt Jürgen Rehrmann, Leiter im Geschäftsbereich Netzdaten-Services der Mettenmeier GmbH am Standort Paderborn.
Zweiterfassung bedeutet in diesem Zusammenhang die Erfassung digitaler Pläne im Zielsystem. Dabei wird davon ausgegangen, dass manuelle Skizzen oder weitere analoge Unterlagen bereits digitalisiert wurden und dass sowohl topologisch korrekte und qualitativ hochwertige Netzdaten als auch vollständig und eindeutig lesbare Pläne vorliegen. „Im Vergleich zur Ersterfassung wird der Aufwand dadurch etwa um die Hälfte reduziert“, so Rehrmann. Dieses Vorgehen habe sich insbesondere bewährt, wenn eine Migration zwischen zwei verschiedenen GIS vollzogen werden müsse.
Migrationen, insbesondere zwischen unterschiedlichen GI-Systemen, sind komplex und erfordern oft einen höheren Aufwand für die GIS-Abteilung des Netzbetreibers. „Aber auch die Migration zwischen gleichen Systemen ist aufgrund individueller Datenmodelle tendenziell anspruchsvoll“, sagt Rehrmann. Bei großen Datenmengen und Netzlängen lohne es sich jedoch, Migrationsroutinen zu definieren, um die eigentliche Arbeit der Datenübernahme möglichst schnell und effizient zu gestalten. Je nach Anspruch an die Datenqualität werden zusätzliche Maßnahmen zur Datenaufbereitung erforderlich. Die Herausforderung bei Datenzweiterfassungen liegt darin, dass sie von Anfang an ein unternehmenskonformes Erfassungsschema erfordern.
Kritische Faktoren
Grundsätzlich wird die Entscheidung „Migration oder Zweiterfassung“ maßgeblich durch Faktoren wie Netzlängen, Quell- und Zielsysteme, Koordinatensysteme, Anspruch an die Datenqualität und an die Lagegenauigkeit der Leitungsnetze beeinflusst. Daher sollten, so Mettenmeier, vor einem GIS-Datenprojekt einige kritische Fragen beleuchtet werden, um die Kosten für die GIS-Datenübernahme transparent und planbar zu machen.
Zum einen betrifft dies das Koordinatensystem. Häufig befinden sich die zu übernehmenden GIS-Daten nicht auf dem gleichen Koordinatensystem wie die bestehenden GIS-Daten des Versorgers. Bei identischem Quell- und Zielsystem ist laut Mettenmeier in der Regel mit weniger Aufwand zu rechnen. Bei unterschiedlichen Systemen haben sich Datenzweiterfassungen bewährt. Häufig werden auch Übersee-Dienstleister mit hinzugezogen, um in Verbindung mit einem ausgereiften Qualitätssicherungsprozess in Deutschland einen schnellen Projektverlauf bei großen Datenmengen zu gewährleisten.
Auch die Dokumentationsart bestimmt den Aufwand. Bei Stromnetzen verursachen unterschiedliche Dokumentationsarten (Trasse versus Mehrstrich) zusätzlichen Aufwand. Genauso verhält es sich mit der Spannungsebenentrennung oder mit der Druckstufentrennung in Gasnetzen. Je nach Qualität der Quelldaten und je nach Anspruch an die Datenqualität im Zielsystem ist eine Zweiterfassung sinnvoller. Die Kriterien betreffen Lesbarkeit, Lagegenauigkeit, Bemaßungen, Abstände, Beschriftungen. Bei den Bemaßungen beispielsweise liegt die Herausforderung oft nicht nur in der Vereinheitlichung unterschiedlicher Bemaßungssysteme, sondern auch in dem mit der Migration von Bemaßungen verbundenen Fehlerpotenzial. Bei Migrationen kommen dabei nicht nur Routinen, sondern auch professionelle manuelle Prüfungen und Sichtvergleiche zum Einsatz.
Die Erwartung vieler GIS-Abteilungen ist, dass die neuen Daten konform zum bestehenden GIS-Datenbestand erfasst werden und dass man zum Stichtag des Netzübergangs auskunftsfähig ist. Aber nicht um jeden Preis. „Vor Projektbeginn empfiehlt es sich, die kritischen Fragen in einem Experten-Workshop zu erörtern und zu bewerten“, sagt Jürgen Rehrmann.